Woche 10, Tag 5 - Donnerstag
Mit voll aufgedrehtem Motor düste Latifa über den Ozean. Dank Craig wusste sie, wie sie am besten zurück nach Isla Paradiso finden konnte.
Nachdem Latifa etwa eine halbe Stunde unterwegs war, verschluckte sich der Motor. Das Steuerbord des Bootes wurde durch das ruckartige Aussetzen nach oben gedrückt. Es gab einen kleinen Hopser auf dem Wasser, bevor es normal weiterging.
Sobald ich wieder zurück bin, muss ich das Teil unbedingt umtauschen, überlegte Latifa. Immerhin hatte sie das Boot erst kürzlich erstanden. Da durfte so etwas nicht passieren.
Sicherheitshalber drosselte sie das Tempo. Sie wollte nicht riskieren den Motor zu überfordern, auch wenn das bedeutete, dass sie so länger unterwegs war.
An dem Ort, an dem Latifa gestern mit Hinni aufgetaucht war, stotterte der Motor immer öfters vor sich hin. Mit ruckartigen Bewegungen hüpfte das Boot einige Meter über die Wellen. Der Motor verstummte. Das Boot trieb durch den Zug etwas vorwärts und stand schließlich still.
Latifa drehte den Schlüssel im Zündschloss. Der Motor reagierte nicht. Latifa drosch mit der Faust auf das Kontrollfeld und betätigte erneut die Zündung. Der Motor blieb stumm.
„Das hat mir jetzt gerade noch gefehlt … so allein auf dem offenen Ozean.“
Weit und breit war niemand zu sehen. Die Wellen schaukelten sie sanft hin und her. Der Wind blies ihr eine warme Brise entgegen.
Trotzdem sie zu allen Seiten niemanden ausmachen konnte, hatte Latifa das Gefühl beobachtet zu werden. Es war ein anderes Gefühl als das, was sie bei ihren vorangegangenen Tauchgängen begleitet hatte. Mittlerweile wusste sie, was es mit denen auf sich gehabt hatte. Aber das hier war was anders. Es fühlte sich bedrohlicher an.
Wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein, dachte sie und zuckte mit den Schultern. Sie wollte sich nicht in etwas hineinsteigern, was gar nicht da war.
Sie kramte ihr Handy hervor. Enttäuscht musste sie feststellen, dass sie keinen Empfang hatte. Ihre Hoffnung, sich ein Wassertaxi hierher bestellen zu können, wurde damit zerschlagen. Dann dachte Latifa an das Muschelhorn in ihrer Tasche. Hinni hatte sie hergeführt, sie würde sie auch wieder nach Hause bringen können.
Nachdem Latifa in das Muschelhorn geblasen hatte, wartete sie ab. Doch anders, als auf der Taucherinsel zeigte sich nicht alsbald ein herannahendes Meereswesen am Horizont. Latifa musste sich wohl damit abfinden, dass es etwas dauern würde, bis sie von hier wegkam.
Mit ihrem eigenen, neugekauften Boot hing sie fest. Latifa wünschte sich, dass der Motor sich nur erholen brauchte und nach einer Pause wieder laufen würde. Es brachte alles nichts. Latifa lehnte sich zurück, verschränkte die Arme im Nacken und schloss die Augen.
Ein paar Minuten Nichtstun hat noch niemandem geschadet.
Sie setzte sich und wartete ab, darauf hoffend, dass bald Hinni oder ein anderes Boot erscheinen würde.
Nach einigen Minuten des Wartens spürte Latifa eine leichte Vibration unter den Füßen. Es rumorte unterm Boot.
Die Vibration verstärkte sich und jagte durch Latifas ganzen Körper. Ihre Beine fühlten sich an, als seien sie im Boden des Bootes einbetoniert. Sie konnte sich nicht bewegen. Das Boot wurde nach oben gedrückt und schwebte einige Meter über der Wasserdecke. Latifa spürte ein unangenehmes Kribbeln im Bauch und krallte sich am Steuerrad fest. Das Boot, das eben noch in die Luft gedrückt wurde, fiel wieder hinab auf das Wasser. Latifa erstarrte vor Furcht, als im nächsten Moment riesige, schwarze Tentakel aus dem Wasser tauchten. Drei, vier, fünf. Wohin sie auch blickte, versperrten die schleimigen Tentakel die Sicht.
Was geschieht hier?
Wasser schwappte in das Boot. Der kalte Mantel des Ozeans legte sich um ihre Schultern, hüllte sie ein und sog sich an ihrem Körper fest. Mit weit aufgerissenen Augen blickte die junge Frau auf das teuflische Schrecken. Sie versuchte ihren Kopf über Wasser zu halten.
Das Blech über ihrem Kopf wurde hinabgedrückt. Die Decke näherte sich ihrem Kopf. Es quietschte und knarzte, als das Blech vom Boot sich unter den kräftigen Tentakeln verbog wie ein Gummischlauch. Alles kam immer näher, Latifa wurde von Sekunde zu Sekunde mehr eingeengt und langsam unter Wasser gedrückt.
Kurz bevor ihr Gesicht unter die Wasseroberfläche tauchte, schnappte sie nach Luft und hielt den Atem an.
Die Tentakel schleuderten um sich, schnappten sich das Boot und rissen es so schnell hinab, wie sie zuvor aus der Tiefe gekommen waren.
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