Woche 10, Tag 1 - Sonntag
Eine halbe Stunde vor 15:00 Uhr, packte Latifa ihre Sachen am Strand zusammen und ging zurück zur Burg. Sie hatte gehofft, dass auch Craig eher zurück sein würde. Sehr zu ihrem Bedauern stellte sie fest, dass noch niemand da war. Also spazierte die junge Frau die Straße hoch und runter, während sie wartete. Wenige Minuten vor 15 Uhr fuhr schließlich die Große Zitrone vor, die Craig fuhr.
„Aye, Lati!“, begrüßte er sie, als er aus dem Wagen stieg und sie erblickte. „Folge mir, lass uns erstmal reingehen, dann können wir ungestört sprechen.“
Gemeinsam stiegen sie die Treppen hinauf bis zum Eingangstor. Craig schloss es auf und trat ein. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim.“ Er grinste und schritt durch ein prunkvoll eingerichtetes Esszimmer auf die nächste Treppe zu. „Pass auf, dass du mich nicht aus den Augen verlierst."
Er stieg hinauf und Latifa versuchte immer dicht genug bei ihm zu bleiben und trotzdem ihre Neugier darüber zu befriedigen, wie es in diesem riesigen Gemäuer aussah. Als sie auf der nächsten Etage angekommen waren, wies Craig auf die nächste Treppe.
„Wir müssen weiter hoch.“ An der Treppe schloss sich hinter einem weiteren Zimmer eine Wendeltreppe an. „Gleich geschafft!“
Gegenüber der Wendeltreppe blickte Latifa auf einen Schachtisch mit einem Gemälde darüber. Ein ähnliches Gemälde wie das, was gegenüber des Burgeingangs hing.
„Du magst Kunst, eh?“ bemerkte Craig. „Das Bild hat mein Urgroßvater gemalt. Toller Typ.“
„Lebt er noch?“, fragte Latifa ohne den Blick vom Gemälde abzuwenden. Sie verlor sich in den liebevollen Details.
„Mhm ... wie man es nimmt.“ Craig ging weiter voran. „So, kommst du? Hier bleiben wir nicht.“
Latifa folgte ihm. „Was meinst du damit, wie man es nimmt?“ Doch Craig winkte ab. „Später!“
Nachdem Craig aus der Tür getreten war, bog er nach links ab und stieg die nächsten Treppenstufen empor. Latifa schloss die Tür hinter sich und blickte ungläubig hinauf.
„Craig ... muss das sein? Was spricht dagegen, dass wir einfach hier reden und dabei die schöne Aussicht genießen?“
„Der Wind! Man weiß nie, wohin der eines Worte trägt. Das ist die letzte Treppe, versprochen. Du bist doch sportlich.“
Latifa seufzte und folgte ihm. Craig schloss die nächste Tür auf, trat hinein und wartete. Als Latifa sah, in was für ein Zimmer der Eigentümer sie führte, wurde sie skeptisch und weigerte sich das Zimmer zu betreten.
„Wessen Schlafzimmer ist das? Craig ... warum sind wir hier? Ich will nur mit dir reden, das weißt du, oder?“
„Ja, ja, komm schon. Hier sind wir ungestört und können ganz offen reden.“
„Ich weiß nicht. Darf ich ehrlich zu dir sein? Ganz wohl ist mir dabei nicht.“ Latifa zögerte. Sie wusste nicht, ob sie wirklich Angst vor Craig’s Absichten hatte oder vor ihren Gefühlen, die sie nicht einordnen konnte, ihm gegenüber.
„Lati, keine Sorge, ich tu dir nichts. Das solltest du eigentlich wissen. Ich will mir nur einen Gang sparen. Ich habe hier was für dich, aber bevor ich dir das gebe, erzähl mir, was du am Perlengrund alles erlebt hast. Schau, ich stell mich mit dem Rücken zu dir.“
Langsam setzte Latifa den ersten Schritt in das Zimmer und blieb beim Fußende des Bettes stehen. Sie sah sich in dem kleinen Zimmer um.
„Bevor du loslegst, ...“ Craig trat zur Tür und schloss sie. „... sollten wir sicherstellen, dass uns niemand belauschen kann.“
Dann stand er plötzlich neben ihr. „Also, ich bin sehr gespannt, was du mir erzählen kannst von deinem Tauchgang am Perlengrund.“
Die junge Frau atmete einmal tief durch, versuchte die dreiste Lüge zu ignorieren und begann zu erzählen.
Von den vielen Tauchgängen, um alles rund um den Perlengrund zu entdecken. Von all den Kostbarkeiten, wie der Venusmuschel, die sie gefunden hatte. Von den zwei Truhen, wovon sie die eine erst bei ihrem letzten Tauchgang öffnen konnte. Von ihrer Angst vor der erneuten Höhlenerkundung und dem Erwachen in den Tiefen des Ozeans.
„Irgendwann bin ich kurz wach geworden, ich weiß nicht, wie lang das alles gedauert hat. Wie lang ich in der Höhle war und wann ich das Bewusstsein verloren habe. Aber als ich die Augen geöffnet habe unter Wasser, da habe ich etwas gesehen ...“
Craig hatte die ganze Zeit über aufmerksam gelauscht und wartete nun gespannt darauf, dass sie weitersprach.
Doch sie zögerte und wollte stattdessen wissen: „Glaubst du an übernatürliche Wesen, Craig?“
Craig grinste. „Wieso fragst du?“
„Ich weiß nicht, ob ich nicht drauf und dran bin den Verstand zu verlieren. Ich glaube, ich habe Dinge gesehen, die es gar nicht geben dürfte.“
Craig klatschte in die Hände und lief herum. „Wenn du dich das fragst, dann hast du alle beisammen, keine Sorge. Nur der, der tatsächlich von sich glaubt, alle beisammenzuhaben, der hat sie nicht beisammen. Was glaubst du denn gesehen zu haben?“
“Weißt du, nachdem ich in den Strudel gezogen wurde und wieder was sehen konnte ... ich glaube ... also ... egal, wie absurd das klingt, aber ... ich glaube, ich wurde von einer Meerjungfrau gerettet."
Rasch fügte Latifa hinzu. “Auch wenn das verrückt klingen mag und ich nur ganz kurz die Augen offen hatte, ich weiß, dass es kein Fisch gewesen sein kann!”
„Eine Meerjungfrau ... so so.“ Eindringlich sah Craig sie an.
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