Ich liebe es in dem Fotoalbum meiner Eltern herumzublättern. Die Bilder faszinieren mich einfach.
Und das Buch erzählt die Geschichte meiner Eltern auf sehr, sehr seltsame Weise.
Zum Beispiel dieses Foto hier: „Unsere WG“. Das Foto entstand am ersten Abend als meine Mama in die WG in San Myshuno zog. Dieser Abend war der Beginn von Freundschaften und vieler solcher Abende zusammen.
Fotografiert wurde allerdings nur dieser Abend.
Es fühlt sich an als könnte ich ein wenig Zeitreisen, wenn ich durch die bebilderten Seiten blättere.
Oder als würde ich ein Märchen lesen, nur dass ich die Hauptpersonen darin kenne. Zumindest einbisschen. Denn diese Personen auf den Bildern wirken irgendwie ganz anders als jetzt. So jung und na ja, irgendwie anders eben.
Oder das hier! Das ist auch eines der Fotos, die ich immer wieder ansehen muss. Das erste und vermutlich einzige Gruppenfoto meiner Mama mit ihren Freundinnen.
Ich weiß natürlich, wer darauf meine Mama ist, weil ich genau dieselben Augen und Haare habe – aber irgendwie kommt mir die Person auf dem Foto ganz anders vor als ... nun ja,meine Mama eben. Und dieser Gesichtsausdruck ... verrückt.
Unser Fotoalbum ist unser kleines Heiligtum. Meine Eltern holen es immer gerne hervor um in Erinnerungen zu schwelgen und ich wage dann auch immer gerne einen Blick in das Buch.
Eigentlich könnte dieses Fotoalbum auch „Unsere ersten Male“ heißen und nicht „Unser Fotoalbum“.
Warum? Nun, ihr habt es sicherlich schon bemerkt. Weil meine Eltern mit großer Begeisterung all die ersten Male in ihrem Leben festhalten. Zum Beispiel ihr erstes gemeinsames Date.
Ein tolles Foto! Und meine Eltern sehen so jung aus – so anders. Ach, das verwirrt mich einfach! Aber na ja, was ist eigentlich mit dem zweite Date? Oder das danach und das danach? Keine Ahnung. Darüber ist in diesem komischen Fotoalbum nichts zu finden.
Auch ein schönes Beispiel:
Die erste Hochzeit ihrer Freunde hat natürlich auch seinen Ehrenplatz in unserem Fotoalbum bekommen.
Alle anderen Hochzeiten gingen leider leer aus. Mit unserem Fotoalbum könnte man also keinen Lebenslauf schreiben. Es ist nicht vollständig. Wer danach kommt hat einfach Pech gehabt und darf sich nicht in unserem Fotoalbum verewigen.
Und so sammeln sich in diesem Album alle ersten Male meiner Eltern.
Vom Uniabschluss ...
... zur eigenen Hochzeit ...
... zum ersten Haus ...
(Das sieht jetzt übrigens nicht mehr so düster und löchrig aus wie auf diesem Foto. Gott sei Dank, sonst würde ich hier wohl ständig Albträume kriegen.)
... und natürlich zu guter Letzt: das erste Baby.
Und nein! Da bin übrigens nicht ich drin. Auf diesem Foto war Mama mit meinem Bruder Dylan schwanger. Ich kam später – und hatte Pech. Von mir gibt es kein Schwangerschaftsbäuchlein-Foto. Und natürlich wurde auch ein schönes Geburtsfoto von Dylan aufgenommen. Das erspar ich euch aber lieber. Von mir dann nicht mehr.
Der Punkt ist: Wenn meine Eltern durch ihr Fotoalbum blättern, dann sehen sie nur die ersten Male ihres Lebens. Klar, das sind ja auch große Momente. Aber die vielen kleinen Geschichten um diese ersten Male herum fehlen.
Deshalb hab ich mir vorgenommen, mein Leben anders zu erzählen als meine Eltern ihres: in vielen kleinen Geschichten.
Übrigens habe ich es jetzt endlich auch in dieses Fotoalbum geschafft:
Das ist eindeutig nicht mein bester Moment.
Ja, ich weiß schon! Ihr habt sicherlich mit jemanden gerechnet, der schon größer ist. Aber mal ganz ehrlich, wie viele Geschichten beginnen mit Kleinkindern? Eben! Okay, ihr seid noch nicht überzeugt. Ich verstehe das. Schließlich kann ich noch nicht einmal sprechen. Hey, macht mir bloß keinen Druck. Ich warte einfach noch auf den richtigen Zeitpunkt bis ich mit dem Gequassel anfange. Bis dahin reichen mir meine Gedanken.
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