In dieser Nacht fand Susi keinen Schlaf und schließlich gab sie es ganz auf.
Sie schaute kurz bei Joseph rein, doch der hatte seine Nase in ein Buch gesteckt und war so vertieft, dass er ihre Anwesenheit gar nicht bemerkte.
Den Vormittag über versuchte Susi sich damit abzulenken Lena das Laufen beizubringen.
Doch nach dem Mittagessen hielt Susi es nicht mehr aus. Die Mädchen spielten mit den Bauklötzen und Rosalya würde gleich zum Schlittschuhlaufen gehen.
Da Joseph die Kälte nicht so mochte, saß er wie so oft in der Stube und war in wissenschaftliche Lektüre vertieft.
Nach dem Susi Joseph Bescheid gesagt hatte, das sie eine Weile spazieren sei, lief sie aufs gerate wohl los. Die Luft war kalt und klar, leichter Schneefall setzte ein. Ihre innere Unruhe trieb sie voran.
Der Schnee knirschte leise unter ihren Füßen. Susi achtete nicht darauf wo sie entlang lief. Wie ein Aufgescheuchter Bienenschwarm kreisten ihre Gedanken um Roland.
Lautlos tanzten die Flocken um sie herum. Ihr Blick war jedoch starr nach vorn gerichtet, ohne dabei wirklich etwas wahrzunehmen.
Unter einem Baum blieb sie schlussendlich stehen und schaute auf den Fluss hinaus. Halb vom Eis bedeckt, floss das Wasser träge dahin. Eine Kälte, die nichts mit der Witterung zu tun hatte, ließ sie frösteln.
Wie sollte es nun weiter gehen? Nun da sie ihn wieder gesehen hat und all die Gefühle, die nie wirklich erloschen waren, neu entfacht worden sind. Und er ganz offensichtlich nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Das Herz war ihr schwer. Roland glaubte offenbar, dass sie sich nur einen schönen Abend mit ihm gemacht hatte, dass sie nur mit seinen Gefühlen gespielt hatte. Dabei war sie doch einfach nur durcheinander gewesen, verwirrt von der Heftigkeit ihrer eigenen Gefühle. So wie auch jetzt.
Lange hatte Susi so da gestanden und auf den Fluss hinaus geblickt, ohne einer Lösung näher gekommen zu sein. Sie hatte nie gelernt, um ihrer Selbstwillen zu kämpfen, nie etwas für sich eingefordert. Als sie sich endlich auf den Rückweg macht, fing es bereits an Dunkel zu werden. Da sie die ganze Zeit mit gesenktem Blick zurück gelaufen war, sah sie erst recht spät wer da zögernd vorm Gartentor stand.
Doch noch bevor Susi ganz heran war, hatte Roland sich entschieden weiter zu gehen. Ein kleines Flämmchen Hoffnung entzündete sich in ihr.
Susi rief ihm fragend nach warum er wieder gekommen war, Roland drehte sich herum und antwortete verhalten, dass er mit ihr reden wolle.
Am Nachmittag hätte er Besuch von einer Frau mit langen braunen Haaren, das von einem roten Tuch zurückgehalten wurde, gehabt. Susi dachte sofort an Vallari, doch wie hatte sie Roland so schnell ausfindig gemacht?
Ohne sich vorzustellen sei die Frau wie ein Racheengel über ihn hergefallen, kaum dass er bestätigt hatte das er Roland Herder heiße. Susi kannte Vallaris aufbrausende Art und konnte sich lebhaft vorstellen wie es gewesen sein musste.
Als er begriffen hatte das sie eine Freundin von Susi war, habe er seinerseits seine Meinung über diese Angelegenheit geäußert. Susi fragte lieber nicht was er ihr an den Kopf geworfen hatte.
Darauf habe die Frau gemeint, er solle nicht solchen Blödsinn von sich geben und sich lieber von Susi erzählen lassen wie es sich wirklich verhält, statt einfach über sie zu urteilen, denn Susi hätte es weiß Gott oft genug nicht leicht gehabt. Diese Worte hatten Zweifel in ihm geweckt und ihn nachdenklich gemacht das die Dinge vielleicht doch nicht so waren wie er es sich zusammen gereimt hat, so war er hergekommen. Es täte ihm leid, dass er gestern so schroff reagiert habe.
Susi glaubte einen leisen hoffenden Ton bei seinen letzten Worten mit schwingen zu hören. Doch sie war schon den ganzen Nachmittag unterwegs und ihr war inzwischen ziemlich kalt geworden.
So bat Susi Roland mit hinein. Verwundert registrierte sie das Roland sich direkt neben sie aufs Sofa setzte, sie hatte eher gedacht er würde sich in den anderen Sessel setzen, sozusagen auf Abstand zu ihr. Durch seine unmittelbare Nähe fiel es Susi schwer ihre Gedanken zu ordnen. Roland bat sie darum ihm zu erzählen wie es kam das sie schon so große Kinder hätte und warum sie damals ohne Nachricht verschwunden sei. Leise und warm war seine Stimme und wieder schwang der hoffende Ton mit.
Nervös überlegte Susi wie sie beginnen sollte und rieb dabei immer wieder mit ihren Händen über ihre Oberschenkel. Einem wissenschaftlichen Geheimnis auf die Spur zu kommen war einfacher, als Worte zu finden, die ausdrückten was sie sagen wollte, fand Susi.