
Ich hatte mich in den hintersten Winkel der Bergungsstation zurückgezogen, um noch einmal die Ausrüstung für den morgigen Tauchgang zu überprüfen.
„Noch ein letztes Mal!“, hatte Mr. Malloy mit steinerner Miene verkündet, so wie er es schon all die Male davor getan hatte. Wenn er so auftrat, hatte es wenig Sinn mit ihm zu reden. Auch Mr. Denver hatte dies einsehen müssen und sich breitschlagen lassen, das Projekt weiterzuführen, vorausgesetzt, sie schafften es die Sache mit der Versicherung zu klären.
„Wir werden uns alles wiederholen, was wir verloren haben, wie Treibgut, das ans Festland geschwemmt wird und noch mehr!“
Dieses mehr versuchte gerade Mr. Denver für sie unter Dach und Fach zu bringen, nicht ohne eine ansehnliche Gewinnbeteiligung versteht sich. Ich mutmaßte, dass sobald er das Geld hatte, er über alle Berge verschwinden würde. Aber machte das schon für einen Unterschied? Vorerst benötigten sie seine Kooperation und danach… nun, er konnte sich denken, was danach auf ihn lauerte.
Er hatte die Bilder aus der Taucherglocke noch lebhaft vor Augen. Das würde seine Zukunft sein. Ich seufzte. Hätte ich doch nur nie hier angeheuert. Aber was hätte ich sonst schon mit meinem Leben anfangen sollen? Im Großen Krieg war ich als Matrose eingezogen worden, um auf einem U-Boot der B-Klasse meinen Dienst zu verrichten. Jene mit Dieselkraftstoff betriebenen Seeungeheuer hatten das Schlachtgeschehen und somit die Weltkarte für immer verändert. Vor allem aber hatten sie mir einen ganz neuen Horizont eröffnet.
Danach konnte ich nicht einfach wieder zurück auf die Farm meiner Familie. Ich wollte lernen, entdecken und ging dabei soweit mich an höchst zweifelhaften Unternehmungen zu beteiligen, wodurch ich mich letzten Endes an eben jenen Ort verirren sollte, an dem all jene strandeten, denen es nach Wissen dürstete, für das sie noch nicht bereit waren. Nach Elrich.
Ich schreckte jäh aus meinen Gedanken, als ich das vertraute Klicken einer Schreibmaschine hörte. Bei dem metallischen Klickklack konnte ich nicht anders als erleichtert aufzuatmen. Es war also alles gutgegangen mit Thornton. Das hieß es würde erstmal keine weiteren Toten geben, vorerst zumindest. Vielleicht wurde morgen die ganze Operation aber auch in mehr als nur einer Hinsicht ins Wasser gehen. Sollte es dazu kommen, war sowieso alles vorbei. Die Versicherung, das Geld, die Toten von Elrich und ihre übersinnlichen Geheimnisse. Alles. Mir selbst war das inzwischen sowas von egal. Es würde schon reichen, wenn ich in mehr oder weniger einem Stück hier rauskäme. Aber ich fürchtete, meine Zeit war bereits abgelaufen. Wobei Zeit ja bekanntlich relativ ist.
Da passierte es wieder: Das Kribbeln, der Gesang. Ob auf der Spitze des Leuchtturms oder dem Grund der Küste. Die Flut stieg an und mit ihr die Sirenen an Land. Sie lockten mich mit ihrem Gesang ihnen zu folgen. Ich wollte ihnen davonrennen, fort von Dingen, die ich nicht verstand und die ich nie hätte zu verstehen versuchen sollen. Wollte das, was mich mit jeder Faser meines Körpers durch Raum und Zeit zu sich rief, aussperren, ihm widerstehen, doch es ließ sich nicht abwimmeln. Wieder und wieder klopfte es gegen meine Tür.
„Nun machen Sie doch endlich auf, verdammt nochmal“, rief Thornton ungeduldig.
Ich ließ meine Hände, die ich zuvor noch hinter meinem Kopf verschränkt hatte zögerlich sinken und tat wie mir geheißen.
Als ich den Riegel beiseiteschob, erwartete mich ein Déjà-vu in Form blaugrauem Rauch, der beißend ins Gesicht fuhr.
„Hier wird nicht geraucht!“, brachte ich hustend hervor und tat einen Schritt beiseite.
Mein Besuch beachtete jedoch meinen Protest nicht, sondern stand einfach nur da, musterte mich von oben bis unten mit diesem kristallklaren Blick, dem kein Detail, kein Fehler, keine noch so kleine Unstimmigkeit hätte entgehen können.
Und als wäre der Illusion noch nicht genüge getan worden, ertönten sie wieder, eben jene Worte, die mein Herz hatten höher schlagen lassen.
"Ziemlich weit weg von deiner Farm, Junge."
Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich entgegnete: "Große Worte von einem Gentleman mit vier Outs."
„Ich spiele nicht.“
„Und ich bin kein Farmjunge, nun zumindest nicht mehr.“
Nun war es an Thornton sich ein Lächeln zu verkneifen.
„Das sehe ich.“
In Thontons Hand blitzte jäh ein Zigarettenetui auf.
„Ich rauche nicht.“
„Und ich bin nicht hier, um dir eine Kippe anzubieten.“
Zögerlich nahm ich das silberne Kästchen näher in Augenschein. Es verfügte über einen raffinierten Öffnungsmechanismus, der, wenn man ihn betätigte, ein darin befindliches Feuerzeug herausspringen ließ.
„Das ist aus Elrich!“
„Richtig“, entgegnete Thornton, „und es funktioniert einwandfrei. Generell sind aus dieser Stadt sehr viele Dinge begegnet, die sich in einem weitaus besseren Zustand befinden, als es die äußeren Umstände vermuten lassen.“
Ich schluckte.
„Manchmal sind die Dinge nicht das, was sie zu sein scheinen.“
„Das glaube ich inzwischen auch“
Ich ergab mich schweren Herzens meinem Schicksal, hatte ich doch nie wirklich eine Chance gehabt ihm zu entkommen.
„Warum sind Sie hier?“
Thornton schenkte mir ein siegessicheres Lächeln. „Ich bin hier, um mit ihnen über Dinge zu reden, die nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Eine Taucherglocke, die keine Taucherglocke ist. Eine versunkene Stadt, die niemals unterging. Verlorene Technologie, die erst noch erfunden werden muss und am wichtigsten: Möchte ich mit ihnen darüber reden, was vor drei Tagen wirklich passiert ist, als Sie und ihr Kollege beim Tauchen waren.“