
"Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass dieser Ort ungewöhnliche Geister seit jeher angezogen hat“, erklärte Charles Denver weiter als die Bilder durch den Saal flimmerten. Wie hypnotisiert verfolgten meine im Dunkeln leuchtenden Augen, wie die Geister von Elrich wieder zu neuem Leben erweckt wurden.
„Es muss etwas mit dem einzigartigen Magnetfeld zu tun haben. Die Feldmessungen in dieser Gegend fallen ungewöhnlich stark aus. Es macht die Vögel verrückt und beeinflusst zweifelsohne auch menschliche Gehirnwellen. Allerdings sind die unseren ganz anders gepolt als die eines Tieres. Unser Verstand wird, so meine Theorie, von der hier ansässigen elektromagnetischen Strahlung auf einzigartige Weise stimuliert, wodurch sich unser Denkvermögen in ganz neue Höhen aufzuschwingen vermag."
Ich nickte. Die in Zelluloid gebannten Bilder zeigten mir Leute in Anzügen, eine Abendgesellschaft. Einer von ihnen trug ein Sakko, das dem meinen verdächtig ähnlichsah. Wie tanzende Schatten schimmerten sie im Licht an mir vorbei. Dann wurden ihre körperlosen Abbilder wie von Geisterhand erhoben, gerufen von dem Gesang der Sirene. Ich konnte es in ihren Augen lesen und fast meinte ich jene unverwechselbare Stimme in meinen eigenen Gliedern erneut singen zu hören.
„Aber es ist nicht nur unser Bewusstsein, das sich einer Transformation unterzieht“, fuhr er aufgeregt fort und gab Malloy Anweisung die Bilder zu beschleunigen, „Selbst stumpfe Materie wird unter den thermodynamischen Prozessen manipuliert.“
„In welcher Weise?“, wollte ich wissen. Wollte ich das?
„Nun, eine Präsentation dessen, was an diesem Ort alles möglich ist, genießen Sie genau in diesem Augenblick.“
Und mit jener rätselhaften Aussage, ließ er den Film in der Mitte der Transition zurückspulen und ich begann zu begreifen.
„Was Sie hier sehen ist die Vergangenheit“, schloss Denver und fügte betont hinzu: „sowie die Zukunft! Die Bewohner von Elrich, sie sind nie wirklich fort gewesen. Wir können von Ihnen lernen, Sie und ich und ihre Geheimnisse weiterexportieren.“
Ich schluckte: "Sie sind ein merkwürdiger Mann, Mr. Denver."
"Ja, das sagten Sie bereits."
Der Film war alle und der Projektor erstarb. Allein der der Kerzenschein leistete uns jetzt noch Gesellschaft.
„Und was sagen Sie, sind wir im Geschäft?“
Mit der Lässigkeit eines Gebrauchtwagenverkäufers spuckte Denver in seine Handfläche und hielt sie mir ausgestreckt hin. Ich dachte eine Zeit lang ernsthaft darüber nach, sie zu ergreifen. Noch immer fühlte ich mich wie paralysiert von dem gezeigten. Doch in dem tauben Gefühl, das wie Ameisen meinen Körper hinaufkletterte, steckte auch eine gewisse geistige Klarheit. Warum eigentlich nicht? Mr. Locksmith hatte mich ohnehin nie zu schätzen gewusst. Sollten er und seine herrische Frau doch dortbleiben, wo der Pfeffer wächst.
„Ach, was solls!“
Ich erhob mich und schlug ein. Bald darauf, sollte ich bereuen, mich so unversehens in Bewegung gesetzt zu haben. Mein Gleichgewichtssinn war getrübt. Ich musste mich an der Tischkante stützen, um nicht zu fallen.
Auch Mr. Denver hatte sich inzwischen aufgesetzt. Im Gegensatz zu mir, schien die Aufführung auf ihn keinerlei Effekt zu haben.
„Mr. Malloy, unser Gast fühlt sich unwohl zu. Seien Sie doch so gut und geleiten Sie…“
„Ich kann selber gehen!“, würgte ich ihn ab und wankte mehr, als das ich ging, aus dem runtergekommenen Lichtspielhaus. Meine Beine wollten unter den audiovisuellen Impulsen gar nicht mehr aufhören zu zittern. Als ich durch den abgedunkelten Vorraum schritt, knickten und knackten erneut die Vogelknochen unter meinen nicht ganz so leisen Sohlen. Knickknack.
Wieder in meinem Büro, wurde ich abermals von großem Tamtam! begrüßt. Unterlegt vom elektronischen Rauschen des Radios war es wieder dieselbe Ausgabe, die zum zweiten Mal an diesem Abend um mein Gehör bat. Mit bebenden Fingern schaltete ich es aus. Aber es lief weiter.
Ich schüttelte den Kopf. Meine Gedanken kreisten wieder um Mr. Locksmith. Er war es, der mich in diesen Schlamassel hatte hineinlaufen lassen. Es war also nur recht und billig, dass auch er es sein würde, der mich wieder daraus manövrieren würde. Es bereitete mir kein schlechtes Gewissen, ihm seine eigene Medizin zu verabreichen.
Mein Blick wanderte von dem widerverstummten Radio über meinen Schreibtisch, die Schreibmaschine und letzten Endes über das jungfräuliche Blattpapier, dass darauf wartete den Bericht an Mr. Locksmith zu empfangen. Wenigstens wusste ich jetzt, was ich zu schreiben hatte.
Noch immer zittrig haute ich klickend und klackend in die Tasten. Klickklack.
Doch so sehr ich mich auch darauf konzentrierte den Stimmen in einem Kopf nicht länger zuzuhören, so vermochte ich es dennoch nicht das dumpfe Echo Mr. Denvers auszublenden.
„Es ist nicht tot, was ewig liegt, bis das die Zeit den Tod besiegt.“
„Was haben Sie da gesagt?“
„Es ist nicht verloren, was jederzeit wird sein geborgen.“
„Das haben Sie nicht gesagt.“
Wann hatte diese Unterredung noch gleich stattgefunden?