
Die Knie an meine Brust gezogen saß ich da, im Dunkeln, auf meiner harten Matratze, in jenem kleinen Büro, das man mir für meine Ermittlungen zur Verfügung gestellt hatte. Ich kam mir vor wie in einer Gefängniszelle.
Ich war vollkommen allein. Lediglich das Radio leistete mir Gesellschaft. Hier und da unterbrochen von elektrischem Rauschen drang die neuste Aufgabe vom Tamtam! an meine müden Ohren. Es war meine Lieblingsradiosendung. Ich schaltete sie immer dann ein, wenn ich nicht schlafen konnte oder wollte. Doch ausgerechnet heute wagte mir meine Abendunterhaltung, den Dienst zu versagen.
Dabei waren die Gäste eigentlich so herrlich skurril wie eh und je. Es waren viel mehr ihre Gespräche, die mich innehalten ließen. Handelte sich etwa um eine Wiederholung? Unsinn! Es handelte sich schließlich um ein Liveprogramm. Aber wieso nur, fragte ich mich, wieso nur, wusste ich was die Streithähne sagen würden, bevor sie es taten? Befand ich mich etwa schon im Dämmerzustand und meinte das ferne Echo des Radios als übersinnliche Vorsehung zu missinterpretieren?
Energisch zwang ich mich die Augen aufzuhalten und spannte meine dünnen Hände noch ein wenig fester um den kalten Griff meines Revolvers, den ich auf meinen angezogenen Beinen balancierte. Sein Lauf war direkt auf die Tür gerichtet. Vor das Fenster hatte ich vorsorglich einen Schrank gezogen. Würde ein nächtlicher Besucher kommen, um mich in einen traumlosen Schlaf zu schicken, aus dem es kein Erwachen gäbe, so würde ihm nur der eine Weg bleiben.
Wie spät es war, wusste ich nicht, ich vermutete kurz vor zehn, da klackte das Schloss. Vorsorglich hatte ich abgeschlossen und den Schlüssel stecken lassen. Wie erwartet hielt diese bescheidene Sicherheitsmaßnahme nicht lange stand. Ein Klicken. Ein Klacken und der Schlüssel viel zu Boden. Dann öffnete sich die Tür.
Ich spannte den Hahn, bereit abzudrücken. Doch ganz unerwartet schaltete er das Licht ein. Mr. Malloy, groß, breit, und einem mörderischen Funkeln stand in der Tür.
Doch anstatt sich mit allen Vieren wie ein Wilder auf mich zu stürzen, wartete er nur in den Händen ein undefinierbares etwas umklammert.
Ich war enttäuscht. Hatte ich mich denn nicht inzwischen zur Genüge als unkontrollierbares Risiko geoutet, das man klammheimlich beseitigen musste? Beinahe wäre ich versucht gewesen, ihm für diesen Affront eine Ladung Blei zwischen die Augen zu verpassen, doch dann würde Mr. Locksmith dafür aufkommen müssen und diesen Gefallen wollte ich ihnen ganz gewiss nicht tun!
Bevor ich allerdings fragen konnte, was es damit auf sich hatte, warf er mir das Bündel zu und schloss die Tür wieder hinter sich.
„Ziehen Sie sich um“, hörte ich seinen Bass durch das dünne Holz dringen, „Mr. Denver erwartet Sie.“
Unschlüssig tauschte ich meinen inzwischen schon arg lädierten Anzug der Locksmith Versicherungsgesellschaft gegen die frische Abendgarderobe, die mir Mr. Malloy freundlicherweise von seinem Boss hatte zukommen lassen und ließ mich anschließend von ihm aus der Bergungsstation führen. Meinen Colt für alle Fälle, aber vorrangig für unbequeme Klienten, nahm allerdings mit. Man wusste ja nie.
Ohne weiteres Tamtam führte er mich zu einem Gebäude, das in der Nähe des Piers stand und dem Zahn der Zeit erstaunlich gut Widerstand geleistet hatte. Es musste aus Stein erbaut worden und deutlich jünger als die Häuser und Villen aus der Kolonialzeit sein. Und an seinem Eingang befand sich ein Schalter. Welchem Zweck es wohl gedient haben mochte?
Von dort traten wir in einen dunklen Flur. Jeder meiner Schritte wurde untermalt von einem leisen Knacken, das mir den Magen umdrehte, und als ich meinen Blick nach unten richtete, meinte ich Vogelknochen ausmachen zu können.
Als nächstes führte mich Malloy in einen großen Raum, der einmal eine Art Vorführsaal gewesen sein mochte. Resten der abgetragenen Sitzbänke nach zu urteilen, stand ich wohl in den kläglichen Überresten eines Lichtspielhauses. Auch für die heutige Sondervorstellung flackerte das Licht eines Projektors durch die Wand, doch diente dieser Effekt wohl vorrangig der Beleuchtung, denn der Unterhaltung, war sein Pegel doch geradewegs auf eine gedeckte Tischplatte gerichtet.
„Also damit hatte ich nicht gerechnet, als es hieß, ich würde heute mit den Fischen spießen.“
„Genießen Sie das Essen“, entgegnete Mr. Denver, der am anderen Ende der Tafel Platz genommen hatte, „der Kabeljau ist ausgezeichnet.“
Ich nahm einen Bissen und nickte. Der Kabeljau war wirklich ausgezeichnet. Was man allerdings von Mr. Denvers dies abendlicher Geschmacksverirrung leider nicht behaupten konnte. So hatte er allen Ernstes für eine gute Idee befunden, seinen khakifarbenen Anzug gegen einen lachsrosa Frack einzutauschen.
„Etwas Scheußlicheres konnten Sie sich wohl nicht anziehen?“
Verwundert hob er eine seiner tadellos geschwungenen Augenbrauen.
„Ist so ein Aufzug bei Ihren New Yorker Geschäftsleuten nicht üblich?“
Allein bei dem Gedanken lief ich rot an. Wie konnte er es nur wagen anzudeuten, ich würde Mr. Locksmith so rumlaufen lassen?!
„Die Locksmith Versicherungsgesellschaft ist für einwandfreies Stilbewusstsein bekannt!“, brachte ich schließlich pikiert heraus.
Ich beschloss mich nicht länger von seinen modischen Entgleisungen irritieren zu lassen und kam direkt zum Punkt: „Sie haben mir etwas verschwiegen, Mr. Denver. Der Tote in der Glocke, war nicht das erste Opfer Ihres Unterfangens.“
„Das ist nicht von Belang. Wir waren damals noch bei einer anderen Gesellschaft versichert.“
„Tatsächlich, hat diese denn auch gezahlt?“
Mr. Denver tupfte sich sein öliges Oberlippenbärtchen mit einer Serviette ab, ehe er zu einer Antwort ansetzte: „Das haben Sie und ich hoffe, das werden Sie auch. Nachdem wir ein Arrangement gefunden haben, dass für beide Seiten akzeptabel ist, versteht sich.“
Allmählich dämmerte mir, woher hier der Wind wehte. Die ach so wertvolle Immobilie Elrich hatte sich allem Anschein nach als Sumpfland in Florida entpuppt. Und um noch etwas Gewinn, aus diesem hoffnungslosen Unterfangen zu schlagen, gab es für die Partizipierenden nur eine gangbare Lösung: Versicherungsbetrug. „Sie wissen, dass ich Mr. Locksmith nicht hintergehen werde, nicht einmal, sagen wir gegen eine Gewinnbeteiligung.“
„Der gute Mr. Locksmith, so fürchte ich,“, fuhr Denver in seiner gewohnten Art fort und legte den Stofflappen nun vollends beiseite, „hat sich bedauerlicher weise selbst verraten.“
Ich schluckte… meinen Fisch hinunter.
„Was wollen Sie damit andeuten.“
„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe mit Ihrem Herrn Locksmith gesprochen. Ein ist ein äußerst zuvorkommender Mensch, aber leider, leider ein umso grausamerer Geschäftsmann.“
Ich hatte bereits eine ungute Vorahnung, worauf das ganze hinauslaufen würde, zwang mich aber den Köderfisch zu schlucken und bohrte weiter: „Was da heißt?“
„Was da heißt“, fuhr er ungerührt fort, „dass meine Unternehmung nicht die einzige ist, der es an monetärer Unterstützung mangelt. Habe ich nicht recht?“
Unschuldig schnitt ich mir das Fleisch von den Kräten und tat dabei so, als würde dieser Vorgang meine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag nehmen.
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“
„Ach ja, dann lassen Sie mich Ihr Gedächtnis auffrischen!“