Thornton schaute mich nonchalant an, ohne auch nur die Spur von quälenden Schmerzen auf dem Gesicht, das rote Rinnsal achtlos beiseite gewischt. "Könnten Sie das eventuell näher ausführen?"
Vollkommen verdattert starrte ich in diese kristallklaren Augen, die mich ohne die Spur von Reue oder Verständnis anblitzten. "A-a-ber... Sie... wie?"
Thornton Wischte sich mit der behandschuhten Hand über die Lippe und hielt mir den letzten Rest roten Etwas unter die Nase.
"Probieren Sie."
Mein Blick wanderte auf die ausgestreckte Fingerspitze und ich musste jäh dagegen ankämpfen mich nicht zu übergeben.
"Schauen Sie nicht so! Das ist Marmelade."
Zögernd zwar aber immer noch skeptisch streckte ich prüfend meine Zunge aus. Es stimmte!
"Und was ist mit der Tür?!"
"Was soll mit der schon groß sein? Ich hab sie abgesperrt", und mit diesen Worten hielt mir Thornton einen silbernen Schlüssel unter die Nase, schloss die Faust und holte ihn aus dem Ärmel der anderen wieder hervor. "Ein simpler Zaubertrick."
Fassungslos schlug ich mir die Hand vors Gesicht.
"Mir war klar, dass Sie den Leuchtturm schon vorher begangen haben, so ein Brimborium wie Ihr Boss darum gemacht hatte, nur um mich auf eine falsche Fährte zu führen", erläuterte Thornton lächelnd, "zudem war der Leuchtturm die erste Anlaufstelle um die Sirene ausfindig zu machen. Mal ganz davon abgesehen, dass es äußerst unrealistisch ist, dass die sie seit jenem Vorfall ununterbrochen weitergelaufen wäre. Aber danke dafür, dass Sie mir meine Vermutungen bestätigt haben."
"Nichts zu danken", entgegnete ich tonlos, "und die Sirene der Sturm? Wie sind Sie überhaupt an den Schlüssel gekommen?"
"Sie waren ja so freundlich ihn in Ihrer Station für mich bereit zu stellen."
Allmählich fing ich an zu begreifen.
"Der Sturm spielte Ihnen dabei wohl perfekt in die Karten."
Thornton verdrehte die Augen. „Oh bitte, an dieser Küste ist doch gefühlt jede Nacht Weltuntergangsstimmung. Ich habe, als wir losgelaufen sind, bemerkt, dass sich der Himmel verdunkelt, und es als gutes Omen genommen. Weiter nichts. Nachdem wir die technischen Details also geklärt haben, wollen Sie mir nicht auch noch den Rest Ihrer Geschichte erzählen?"
Ich lachte trocken: "Sie würden mir doch ohnehin nicht glauben."
"Versuchen Sies. Sie werden feststellen, dass es nur wenig gibt, an das nicht glaube."
"Tatsächlich, wie sähe es etwa mit Seemonstern aus?"
"Kommen Sie mir wieder mit dem alten Hut? War es etwa die Stimme Typhons, die Ihnen befohlen hat, schneller aufzutauchen?"
"Ich habe Sie nicht belogen, als ich gesagt habe, dass uns etwas an die Oberfläche gefolgt ist. Die Sirene hat etwas... ein Ding erweckt, dass nicht in diese Welt gehört!"
"Ach ja, und wo genau ist dieses Ding jetzt?"
Ich schluckte. "Genau hinter Ihnen."
Ich fand nichts als Unglaube in den kristallklaren Augen vor mir, doch gerade als Thornton sich zur Bestätigung umdrehen wollte, schlug ein Blitz in die Scheibe hinter uns ein, die sodann in tausend kleine Scherben zersprang. Wind und Wetter fluteten die Leuchtkammer. Doch das war nicht das Einzige, was zu uns hereinkam. Zwischen den Scherben glaubte ich zu sehen, wie sich etwas zu regen begann, eine Art gräuliche Masse.
Wir traten näher, um das, was auch immer es war, besser erkennen zu können. Die schmutzige Lache, die da vor uns vor sich hinsiechte, wirkte beinahe organisch. Ich hatte es erst bemerkt, als mein Blick sich direkt auf die Scheibe hinter Thorntons Schulter gerichtet hatte. Manchmal, wenn ich meinen Arbeiten an der Taucherglocke oder in der Bergungsstation nachgegangen war, hatte ich gemeint seine Anwesenheit zu spüren. Aber hier und jetzt war es das erste Mal, da ich es deutlich zu Gesicht bekam. Und es reichte, um mich voll grausigem Entsetzen zu erfüllen.
"Was ist das?"
Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Ich wollte meine Begleitung am Handgelenk packen, aber es war bereits zu spät.
Thornton hatte sich vornübergebeugt, um die gallertartige Masse näher zu studieren, als diese plötzlich nach oben schnellte und sich um den Hals ihres unbedarften Betrachters schlang. Unnachgiebig drückte das Ding langsam die Luft aus Thorntons Kehle, den verzweifelten Fingernägeln zum Trotz, welche versuchten sich in seiner elastischen Oberfläche festzukrallen. Doch je stärker sie zogen, desto fester schlang es sich um sein wehrloses Opfer; dehnte sich weiter und weiter aus und versuchte in Thorntons Mund zu kriechen. Der Versicherungsgutachter hielt entschlossen die Lippen versiegelt, dem lebensnotwendigen Impuls Aufzuatmen widerstrebend. Ein Kampf, der nur verloren werden konnte, wie ich nur zu gut wusste. Nun kroch es weiter, in die Nasenhöhlen. Sobald das Ding das Innerste erreichte war alles vorbei. Es kannte weder Hass noch Gnade, nur Notwendigkeit und Instinkt.
Ich konnte es nicht länger mit ansehen und wandte mich zur Türe. Eines von Thorntons glasig werdenden Augen verfolgte mich auf meiner Flucht, doch ich vermied es den Blick zu erwidern. Was sollte ich auch sonst tun? Und schließlich hatte Thornton das Unheil auch irgendwie heraufbeschworen, dachte ich mir. Genau wie ich.
Voll blindem Selbsthass hämmerte ich meine Faust gegen die Armaturen, ehe ich mich daran machte, die schreckliche Szenerie endgültig hinter mir zu lassen. Ich war schon halb zur Tür raus, da sah ich ein geisterhaftes Leuchten, das mit einem Mal die Leuchtkammer flutete.
Ich drehte mich um, um wider aller Vernunft seinen Ursprung zu ergründen und erblickte die Spule. Doch nicht nur das. Ich brauchte einen ganzen Moment, ehe es mir gewahr wurde, aber dann fiel mir auf, dass Thorntons Keuchen verstummt war.
Das Schlimmste befürchtend sah ich dann doch hinüber, nur um festzustellen, dass die mörderische Umarmung den Dings sich gelöst hatte. Seine Membranhaut warf Wellen unter den grellen Lichtstrahlen. Ich setzte alle Hebel in Bewegung mit dem Ergebnis, dass die Spule heller und heller glomm. Die Luft knisterte und die Energie füllte die ganze Kammer aus. Auch mein Körper begann zu vibrieren, doch ich ließ nicht locker, da stob das Ding mit einem Klatschen zu Boden. Dann floss sein schleimiger Körper zum Fenster und war auch schon in die stürmische Nacht hinaus verschwunden.
Ich sackte zu Boden. Das Ding war verschwunden. Die Sirene verstummt. Alles war ruhig. Nur Thorntons schweres Aufatmen war noch zu hören.
"Glauben Sie mir jetzt, dass etwas Übernatürliches hier vorgeht?", brachte ich gerade so noch zwischen meinen zitternden Lippen heraus.
Ich erhielt keine Antwort und ich erwartete auch keine. So verharrten wir noch eine ganze Weile, während der Regen noch immer zu uns hereinschüttete. Als der Sturm dann doch allmählich abebbte, halfen wir uns gegenseitig auf. Thorntons erleichterter Blick, der auf mich gerichtet war, wandelte sich jedoch jäh in Entsetzen.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund und bemerkte wie warmes Blut mir aus der Nasenspitze rann. Und da wusste ich, dass es noch nicht vorbei war. Der wahre Schrecken von Elrich war nie weggewesen. Es gab kein Entkommen!