
Wir traten ins Freie und der dichter werdende Nebel hieß uns mit ausgestreckten Schwaden willkommen. Das trübe Weiß kreuchte das ganze Jahr über die sumpfige Bucht, doch in den Herbst- und Wintermonaten war es besonders schlimm. Wie der Atem des Meeres brachte es den Geruch von Salz und Tod mit sich.
Malloy und ich hatten unsere Ausrüstung zusammengepackt und machten uns daran die Schweren Eimer über die nassen Planken des Pier zu hieven. Der Klang von Thorntons hochhackigen Stiefeln verfolgte uns dabei auf Schritt und Tritt. Mir ging durch den Kopf, dass es für einen Ausflug an der Küste sicherlich passenderes Schuhwerk gab, verkniff mir jedoch einen Kommentar.
Unter unseren Füßen leckten die Wellen, als könnten sie es gar nicht erwarten, bis es Nacht würde. Wie wir so voranschritten, kam von der See her ein rauer Wind auf, der das Leichentuch über Elrich zu Lüften begann.
"Haben Sie eigentlich schonmal versucht in den Leuchtturm zu kommen?", fragte Thornton beiläufig.
Ich zuckte mit den Schultern. "Zu aufwändig. Wie Sie sehen, ist der Eingang unter Wasser. Mit unserer Ausrüstung wäre dieses Hindernis zwar kein Problem, allerdings ist durch die fortschreitende Erosion das Gebäude starkeinsturzgefährdet" Ich warf einen schelmischen Blick zurück. "Oder würden Sie etwa für meine Krankenhausrechnung aufkommen, wenn ich mich mutwillig in diese Bruchbude brächte?"
"Oh, aber natürlich, wir wollen doch die Versicherung nicht mit sowas behelligen. Sprengen wir uns lieber weiter selbst in die Luft, das ist viel besser."
"Zumindest gäbe das den interessanteren Fall ab, oder etwa nicht? Wäre doch auch zu schade, wenn Ihre Versicherung an einem Allerweltsunfall bankrott ginge."
Ich drehte mich um und genoss die giftigen Blicke, die daraufhin meinen Rücken durchsiebten.
Kaum waren wir bei der Glocke angekommen, steckte sich Thornton schon wieder eine Kippe in den Mund und auch ich griff unwillkürlich nach meiner Kaugummidose. Die Erinnerung an den Fund der Leiche war noch immer so frisch wie der Nebel über Elrich. Nicht das erste Vorkommnis dieser Art, aber nichts desto weniger verstörend und undurchsichtig. Die Bullaugenluke klappte zur Seite und die chemische Energie, welche der Mensch zu entfesseln im Stande war, indem man von seinen Atome nur ein wenig Druck abließ, verschlug mir den Atem.
Aber es half alles nichts. Malloy und ich krempelten unsere Ärmel hoch und machten uns an die Reinigung. Über Nacht hatten wir dazu extra einen speziellen Säurebottich angerührt, dessen Inhalt das Gewebe zersetzte, welches sich durch bloßes Abschrubben nicht beseitigen ließe.
Thornton schaute uns währenddessen zähneknirschend zu. Die Behörden von Providence hatten inzwischen den Befund abgesagt und ihr ok für die Beseitigung etwaiger Rückstände gegeben. Ein leitende Kriminalinspektor habe sich den Bericht durchgelesen und keinerlei Anlass dazu gesehn, die Darstellung anzuzweifeln. Eine Abteilung würde Morgen die Überreste des Toten mit dem Zug abholen, um Sie an seine Hinterbliebenen zu schicken.
Als Malloy uns das Telegramm laut vorgelesen hatte, hatte mir Thornton einen Blick zugeworfen, der mehr aussagte als tausend Worte: Wie viel hat ihr Boss wohl für dieses Gutachten bezahlt?
Ich wandte den Blick ab und schaute stattdessen stumm dabei zu, wie die hartnäckigen Überreste dessen, was einmal ein Mensch gewesen war, sich in Wohlgefallen auflösten. Es brodelte und blubberte einen für einen Moment, aber dann war die Lösung auch schon wieder so klar, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Ich frage mich, ob es sich so auch mit dem Körper verhalten hatte, als das Blut überkochte und die Arterien gesprengt hatte. Mein einziger Trost war, dass sich die Angelegenheit innerhalb von Nanosekunden abgespielt haben mochte.
Als ich so meinen Gedanken nachhing, schaute sich Thornton die Sauerstoffflaschen, die wir neben der Glocke angelehnt hatten, genauer an.
"Kann ich Ihnen irgendwie helfen?"
Der behandschuhte Finger zeigte auf eine.
"Ist da auch Helium drin?"
"Ein wenig, wieso?"
"Sie erwähnten, dass Helium der Luft beigemischt würde, um dem Stickstoff entgegen zu wirken. Könnten Sie das näher ausführen?"
Ich seufzte, antwortete jedoch sofort: "Bei Tauchgängen kann es schonmal vorkommen, dass sowohl Stickstoff als auch Sauerstoff eine Art Rausch hervorrufen können. Durch die Zugabe von Helium zur Mischung wird dieser Zustand verringert, sodass Taucher klarer denken können."
"Mit anderen Worten, Sie verändern Ihre Körperchemie. Was passiert, wenn die Mischung falsch angesetzt wird?"
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Malloy einen Sekundenbruchteil in seiner Arbeit innehielt. Dann spannte der dunkelhäutige Mann seine Muskeln an und verschloss die Taucherglocke von neuem.
"Geht die Befragung jetzt in die nächste Runde?" Ich bemühte mich um einen gewohnt lockeren Tonfall, um die Situation nicht weiter eskalieren zu können.
"Vielleicht."
Thornton wandte sich ab und blickte wieder zurück Richtung Küste.
"Ich werde schon noch herausfinden, was Sie vor mir zu verbergen haben. Das versichere ich Ihnen meine Herren."
Und mit diesen Worten, stolzierten die hohen Absätze wieder über den Pier dem Festland entgegen. Malloy gab mir mit einem Wink zu verstehen, dass ich ein Auge auf unseren Besuch werfen sollte.
Ich versuchte Thornton einzuholen, doch die schnellen Schritte schienen sich auf mein Kommen nur noch zu beschleunigen.
Als ihr Klacken mit einem Mal abriss, sah ich auf und bemerkte, dass sich einer der Absätze zwischen zwei Planken verkeilt hatte. Ohne um Erlaubnis zu bitten, ließ ich alles stehen und liegen, packte die ausgestreckte Hand und zog einmal kräftig daran. Mit einem feuchten Schmatzen kam der Stiefel frei und wir setzten unseren Weg vom Plateau fort.
"Kommen Sie mit und keine Widerrede! Sie können die Stadt, die Station oder was auch immer gerne unter die Lupe nehmen. Aber ich werde Sie dabei begleiten!"
Ich erhielt daraufhin keine Antwort und ich erwartete auch keine. Und so statteten wir nun zu zweit dem halbversunkenen Elrich einen erneuten Besuch ab.