"Mein Job ist das Bergen von Treibgut und die Wartung der Taucherglocke. Bis vor zwei Tagen gab es damit auch keine Probleme."
"Und wie erklären Sie sich dann, dass es einen Ihrer Kollegen in eine Portion Slumgullion verwandelt hat?", ich rückte meine Aufzeichnungen zurecht, "Wenn ich mich recht entsinne, deutete Mr. Denver an, dass es einen Schaden an der Druckkammer gab, der durch höhere Gewalt hervorgerufen wurde."
Gulliver schnaubte. "Mr. Denver hat keine Ahnung von der Technik. Ohne Malloy und mich wäre er vollkommen aufgeschmissen."
"So, so. Und was, wenn ich fragen darf, ging Ihrer Meinung nach schief?"
"Druckkammern werden für Menschen erbaut, aber das, was wir an jenem Tag an die Oberfläche zogen, war kein Mensch. Irgendetwas musste seinen Körper während des Tauchgangs verändert haben, noch bevor er die Glocke wieder bestieg. Mein Boss will es nicht wahrhaben, aber in dieser Stadt geht es nicht mit rechten Dingen zu."
"Ach ja? Nun, ich habe da eine etwas andere Theorie. Ich glaube, dass Sie und Mr. Malloy beim Hochziehen der Glocke, wie soll ich es höflich ausdrücken, ein bisschen geschludert haben. Irgendetwas ist diesmal schief gegangen, war es nicht so? Ihr Kollege war länger unten, als erwartet. Vielleicht hatten Sie ihn vergessen, oder sie schätzten die Dekompressionszeit falsch ein und öffneten die Kammer zu früh. Sein Körper hätte mehr Zeit gebraucht, um sich an die Bedingungen der Oberfläche anzupassen. Aber Sie wollten nicht warten! Ihr Boss saß Ihnen schon seit Monaten im Nacken. Sie waren gestresst, ausgelaugt, unterbesetzt und sie wussten, dass Mr. Denvers ihnen einen feuchten Hering bezahlen würde, sollten Sie nichts finden. Sie wollten einfach nur etwas von wert bergen, um hier endlich wegzukommen, und haben sich verkalkuliert. War es nicht so?"
"Das passiert Ihnen wohl häufiger, oder? Dass die Leute Sie für etwas zur Verantwortung ziehen, das sie selbst verbockt haben."
"Sie machen sich ja keine Vorstellung. Einmal da hatten wir einen Frisör als Kunden. Weil er sich seine Haare nicht selbst schneiden konnte, entwarf er eine Maschine dafür. Er hatte sie perfekt austariert, damit auch jedes Haar und jede Strähne an ihren Platz gebracht werden sollte. Lediglich die Ohren hatte er vergessen mit zu berücksichtigen. Ein ganzer Salon von oben bis unter vollgeblutet. Und am Ende sollten selbstverständlich wir für den ganzen Ärger aufkommen."
"Und, haben Sie?"
Ich warf ihm unter meiner hochgezogenen Augenbraue einen scheelen Blick zu: "Was denken Sie?"
"Ich glaube, ich kann es mir denken. Darf ich Sie noch etwas fragen?"
"Nur zu."
Er zeigte auf mein offenes Jackett, aus dem drei dünne Metallkettchen heraushingen.
"Wozu brauchen Sie eigentlich mehrere Taschenuhren?"
Wie aufmerksam von ihm. Ich setzte mich näher an den Tisch und breitete meine Uhren wie bei einem Hütchenspielertrick vor ihm aus, schob sie mal hierhin mal dahin, bis sie in einer Reihe nebeneinander lagen.
"Ich lasse Ihnen die Qual der Wahl. Schaffen Sie es das Rätsel der drei mysteriösen Taschenuhren zu lösen? Drei Uhren aber nur zwei Versuche."
Gulliver nickte und klappte das Ziffernblatt der erstbesten auf. Dann schaute er mich verblüfft an. "Es ist eine ganz normale Taschenuhr."
Ich kicherte. "Sind Sie etwa enttäuscht? Einen haben Sie noch. Wählen Sie weise."
Er besah sich die übrigen beiden mit prüfendem Blick und verschränkte dann triumphierend die Amre vor der Brust.
"Da muss ich gar nicht lange überlegen.", sagte er und tippte auf die Uhr, die er soeben aufgeklappt hatte: "Die zeigt ganz normal die Zeit an und die hier..." Sein Finger wanderte zu der Uhr, die ich in der Mitte der Tischplatte positioniert hatte "ebenfalls! Allerdings ist diese da keine gewöhnliche Uhr, sondern eine wasser- und druckdichte, so eine ähnliche, wie wir sie auch beim Tauchen verwenden."
"Ihnen kann man aber auch nichts vormachen."
Er tippte auf eine winzige Ausbuchtung an der Außenseite der Uhr: "Das hier ist ein sogenanntes Heliumventil. Da Stickstoff bei Überdruck narkotisierend wirkt, versetzen wir die Luft in der Tauchkammer mit Helium. Die dabei entstehenden Moleküle sind jedoch so klein, dass sie beim Abtauchen, in das Gehäuseinnere eindringen. Dehnen sich diese beim Auftauchen wieder aus, würde das Uhrenglas sofort abspringen, weshalb Taucheruhren üblicherweise mit einer solchen Vorrichtung versehen werden, durch die das Gas problemlos entweichen kann. Demnach", beendete er seine Ausführungen, "muss des Rätsels Lösung Uhr Nummer drei sein!"
Gespannt griff er nach dem alten Modell und klappte es auf.
"Die ist ja stehn geblieben!"
Seine himmelblauen Augen warfen mir einen irritierten Blick zu.
"Was bringt eine Uhr, die nicht die Zeit anzeigt?"
"Oh, sie zeigt mir sehr wohl die Zeit an, allerdings nur eine ganz bestimmte.", entgegnete ich belustigt über seine Ratlosigkeit.
Daraufhin überlegte Gulliver für eine Weile, wog die Taschenuhr in seiner Hand und betrachtete Sie sich noch einmal genau.
"Es ist ein älteres Modell", stellte er fest, "Sie wurde gereinigt, aber in den Gravuren am Deckel sieht man noch deutlich die dunklen Verfärbungen. Irgendwas ist mit ihr passiert." Seine Augen wanderten aufmerksam über jeden Inch der polierten Oberfläche. "Ich kann keinerlei Anzeichen von Gewalt feststellen. Sie ist also nicht stehengeblieben, weil sie jemand durch bloße Krafteinwirkung kaputt gemacht hat. Sie haben sich außerdem extra die Mühe gemacht zusätzlich zu dieser und Ihrer normalen Uhr eine wasserfeste zu kaufen. Die Zeit, die diese anzeigt, muss der Zeitpunkt sein, an dem sie stehengeblieben ist. Beide Uhren haben Sie sich angeschafft, weil Ihre Untersuchung Sie nach Elrich führte." Mit einem Mal weiten sich seine Augen vor Unglaube. "Könnte es sein, dass..."
Zufrieden nickte ich ihm zu. Ich hatte großes Glück gehabt, dass ich noch vor meiner Abreise das gute Stück einer Gruppe von Frackjägern abkaufen konnte. Mir war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen, wie ein solch kurioser Fund mir bei meinen Untersuchungen würde von Nutzen sein können, aber eins hatte ich gewusst: Ich würde meine Ausgaben in dieser Sache auf jeden Fall Mr. Locksmith als Reisespesen unterjubeln. Bei diesem Gedanken lehnte ich mich zufrieden zurück und stellte mir bildlich vor, wie geschockt er auf darauf reagieren würde.
"Diese Uhr bestimmt den genauen Zeitpunkt, an dem an jenem Tage vor über zehn Jahren für Elrich die Welt unterging. Und weil sie unser Spiel gewonnen haben, verrate ich Ihnen als Belohnung noch etwas." Ich schmiegte mich ganz nah an Gulliver heran und wisperte ihm ins Ohr. "Der Zeitpunkt, an dem gestern Abend der Sirenengesang erklungen ist, ist mit dem, als der Sturm über Elrich hereinbrach, auf die Minute identisch. Der Minute des Untergangs!"