Es oktoberte bereits an allen Ecken und Enden des Landes. Seichter Nieselregen zog an mir vorbei, als die Eisenbahn mich mit tausend Sachen durch die trostlose Einöde nach Elrich beförderte. Bekleidet war ich mit einem kohlrabenschwarzen Nadelstreifenanzug der Locksmith Versicherungsgesellschaft und darüber einen dicken Reisemantel.
Die Beine überkreuzt, kibbelte ich ungeduldig auf meinem Sitz. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, kurbelte das Abteilfenster runter und steckte mir einen Glimmstängel an. Ja, ja, ich weiß. Eigentlich sollte ich damit aufhören. Die Sargnägel kosteten uns jedes Jahr eine gute Stange Geld. Aber irgendwie musste ich ja mit meiner aufkommenden Unruhe umgehen. So etwas wie in der Akte, die mir Mr. Locksmith mitgegeben hatte, war mir in all der Zeit, in der ich schon für ihn tätig war, noch nicht untergekommen.
Ich nahm einen kräftigen Zug und blies ein paar Rauchwolken in die Luft und schaute dabei zu wie sie im vorbeirasenden Zugwind verpufften. Dabei lehnte ich meinen Ellbogen an mein Gepäck auf dem Nebensitz. Außer mir selbst, einer Thermoskanne voller vergossener Träume und einer schwerbeladenen Aktentasche, hatte ich sonst nichts mitgenommen. Darin befanden sich meine Schreibmaschine, die Papiere rund um den Vorfall, ein paar alte Zeitungen aus der Zeit um den Untergang von Elrich herum, die ich noch vor meiner Abreise zusammentragen konnte, und außerdem noch eine Kleinigkeit, ohne die kein guter Versicherungsangestellter aus dem Haus ging.
Zur Mittagsstunde kam der Zug zum Stehen und ich stand auf. Die Ketten meiner Taschenuhren klimperten unter meinem Jackett.
Erwartet wurde ich von einem keine zwanzig Jahre alten Yankee, der mich an der Haltestelle begrüßte.
An seiner Art zu sprechen und den Schwielen an seinen Händen erkannte ich sofort, dass er auf einer Farm in Minnesota aufgewachsen sein musste. Er war hochgewachsen, fast sechs Fuß groß, aber dennoch überragte ich ihn knapp um eine halbe Stirnlänge. Ich musterte ihn von oben bis unten und beschloss mir einen Spaß mit ihm zu erlauben.
"Ziemlich weit weg von deiner Farm, Junge."
Er strich sich sein hellblondes Haar aus der Stirn, das ihm durch den Regen im Gesicht klebte. Dichte Kotletten rahmten sein knabenhaftes Gesicht ein, in dem ein Paar himmelblauer Augen leuchtete. Mit engelsgleicher Stimme entgegnete mir: "Große Worte von einem Gentleman mit vier Outs."
Oh, vulgär. Ich musste mir unwillkürlich ein Lächeln verkneifen. Mit vulgär konnte ich umgehen.
Zu seiner Linken stand ein dunkelhäutiger Mann, der ihm in Größe und Kraft in nichts nahestand. Seine Nase sah aus, als hätte sie ihm ein Boxer plattgeschlagen. Doch was weit mehr mein Interesse an ihm weckte, war der Verband, den er sich ums rechte Ohr gewickelt hatte.
"Mein Name ist Gulliver. Gulliver Stuart", meinte der blonde Schönling, "und der Große Typ neben mir heißt Malloy."
"Malloy und weiter?"
Dieser verschränkte nur die Arme vor der breiten Brust.
"Malloy reicht vollkommen."
Ich schaute gespannt von einem zum anderen. "Wie lange seit ihr schon hier draußen?"
"Fast ein halbes Jahr", meinte Gulliver, als er mich die Haltestelle hinunterführte. "Allein die Ausrüstung hierher zu schaffen und aufzubauen war eine ziemliche Plackerei. Und zu allem Überfluss sind uns zwischenzeitlich die halbe Mannschaft abgesprungen. Kommen Sie, wir bringen Sie zum Boss."
Der Junge nahm mir meine Tasche ab und so gingen wir zu dritt die Hauptstraße hinunter, vorbei an Ruinen, die irgendwann einmal Elrich gewesen sein mochten. Mit Gewissheit konnte ich das nicht sagen. Von den meisten Bauten waren nicht viel mehr als schlickumwickelte Fassaden übrig. Die triste Jahreszeit und der allmählich aufkommende Nebel taten ihr übriges, um unsere Sicht zu verklären. Allenfalls die Häuser im hinteren Teil der Stadt konnte man noch als solche identifizieren, doch je weiter wir Richtung Strand kamen, desto grotesker gestaltete sich der Anblick, welcher sich uns bot.
Die Naturgewalt, die eine solche Unkenntlichkeit hervorgerufen hatte, musste von unglaublichem Ausmaß gewesen sein. Ich hatte schon Häuser gesehen, nachdem ein Hurricane über sie hinweg gefegt ist. Solche, von denen kaum noch abgebrochene Bretter auf dem blanken Grund zurückgeblieben waren. Von einer solch allumfassenden Zerstörung war dieser Ort zwar verschont worden. Doch irgendwie machte dies die Sache, nur umso ungeheuerlicher.
Der Schlick und das Treibgut, das durch die seelenverendende Flut angeschwemmt worden war, hatte die Gebäudereste, welche dem Druck des Wassers stand gehalten hatten, umschlungen und ihre Überreste gewissermaßen mumifiziert.
Beinahe war mir, als würde ich nicht durch die Überbleibsel einer verschlagenen Neuenglandsiedlung durchstreifen sondern eine untergegangene Stätte aus längst vergangenen Zeitaltern. Ich konnte es kaum erwarten, sie mir näher anzusehen, sollte sich die Gelegenheit dazu ergeben.
Wir waren endlich an dem neuaufgebauten Pier angekommen. Ein Stück weiter in der Nähe des alten Leuchtturms hatten sie eine Station aufgebaut. Ein hässliches Teil aus weiß gestrichenen Brettern, damit man die Vogelscheiße nicht so deutlich sah. Malloy blieb weiterhin an meiner Seite und ließ mich dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. Gulliver versuchte es zu überspielen, aber auch er wirkte angespannt.
"Der Boss wartet drinnen. Ich werde ihm bescheid geben, dass Sie eingetroffen sind."
Er wollte bereits gehen, da hielt ich ihm meine Hand vor die Brust und deutete auf das ramponierte Ende des Stegs.
Es war ziemlich weit abgeschlagen, da es ein gutes Stück auf die See hinausführte, aber ich meinte so etwas wie eine Absperrung erkennen zu können.
"Ist das die Stelle an der..."
"Jap", entgegnete Gulliver. "Das ist die Stelle, an der es den armen Tropf erwischt hat. Geplatzt ist wie ein rohes Ei."
Noch ehe er Einspruch erhoben konnte, setzte ich mich in Bewegung, die rutschigen Planken vorwärts. Malloy machte Anstalten sich mir in den Weg zu stellen, wurde jedoch von dem blonden Knaben abgehalten. Ich war dem Kleinen dafür dankbar, trug er doch noch immer meine Tasche, ohne die ich mich mit seinem schweigsamen Begleiter lieber nicht angelegt hätte.
Ich beschleunigte meine Schritte, um ihm zu entkommen. Zwar wusste ich schon, was ich vorfinden würde, die Fotografie von Mr. Locksmith hatte der Fantasie nur wenig Spielraum überlassen, aber ich musste es einfach mit eigenen Augen sehen!
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