Auch Tage später schwirrte mir noch der Kopf von verrückten Experimenten, widernatürlichen Chemikalien und dem furchtbaren Nicola Tesla. Eingesperrt in meinem engen Zimmer, blieb mir kaum eine Möglichkeit mich von meinen nächtlichen Martyrien abzulenken.
In der letzten Zeit hatte es fast durchgehend geregnet, sodass weitere Exkursionen fürs erste entfielen. Die anderen Gäste bekam ich daher allenfalls noch während der gemeinsamen Mahlzeiten im Speisesaal oder im Vorbeigehen auf dem Flur zu Gesicht. Den Rest der Zeit zog ich mich auf mein Zimmer zurück, um zu lesen. So auch in jener verhängnisvollen Nacht.
Die Taschenuhr auf dem wackeligen Abstelltischchen neben meinem Kopfkissen zeigte an, dass es kurz nach Mitternacht war. Ich konnte nicht schlafen. Den lauten Stimmen, die von unten an mein Ohr drangen, zu urteilen, erging es den anderen Gästen nicht anders.
Seit meiner Ankunft in Elrich vermochte ich nicht eine ruhige Nacht hier zu verbringen. Doch in dieser war es besonders schlimm. Schlimmer als in jeder Nervenheilanstalt!
Kurz entschlossen stand ich auf, knöpfte mein Hemd zu und trat auf den staubigen Gang. Die Öllampe an der Tür ließ ich stehen. Meine Augen hatten sich inzwischen an die allumfassende Dunkelheit des Hotels gewöhnt. Gemächlich schlurfte ich die Treppe hinunter.
Das Gepolter führte ich mich geradewegs in den ersten Stock. In einem der Zimmer brannte noch Licht. Ich überlegte kurz, ehe ich mich wider besseren Wissens entschied, den Ursprung des Geschreis näher zu erkunden.
Eigentlich hatte ich damit gerechnet Mr. Duff bei einem seiner nächtlichen Tobsuchtsanfälle zu erwischen. Doch dem war nicht so. Als ich mein Ohr an die dicke Eichentür presste, hörte ich zu meiner Verwunderung die Stimmen eines Mannes und einer Frau miteinander streiten.
"Verzeih mir meine Gehässigkeit, meine Liebe. Es ist nur jener unerträgliche Schmerz, den mir dieser grauenhafte Funkturm in den Kopf gesetzt hat. Ich hatte gedacht, unser Ausflug an die Küste, könnte vielleicht meine Symptome mildern. Diese verdammte Höllenapparatur hätte nie gebaut werden dürfen!"
"Als wäre dieser Flinbert Flinsbarry das geringere Übel?! Siehst du denn nicht, das wir von einem widernatürlichen Experiment ins nächste geschlittert sind? Wie die Ratten sitzen wir hier in der Falle, während dieser Satan mit Sonntagshut, wer weiß was, mit uns vor hat. Wie die Ratten sage ich!"
Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. Was mochte den Fitzgeralds denn nur widerfahren sein? Und welche Rolle mochte Mr. Flinsbarry dabei spielen?
Gespannt beugte ich mich vor das Schlüsselloch und erspähte bei flackerndem Feuerschein die Silhouetten der Eheleute. Adam Fitzgerald saß auf einem Stuhl, gebeugt über einen Schreibtisch voller bedruckter Seiten, den Rücken seiner Frau zugewandt, die etwas in der Hand hielt, was ich nicht erkennen konnte.
"Bisher ist alles so eingetreten, wie Mr. Flinsbarry es uns versprochen hat! Ich kann es nicht recht beschreiben, aber dieser Ort hat etwas ganz und gar Absonderliches", sprach er mit hörbar angestrengter Stimme. "Und vielleicht, nur vielleicht, können wir hier ja tatsächlich wieder finden, was wir verloren haben."
"Du glaubst doch nicht etwa den Worten dieses Scharlatans?!"
"Du weißt es doch selbst, oder? Er war da! In Shoreham. Der Funkturm. Das Experiment. Die Ursache all unserer Schmerzen!"
Mr. Fitzgerald ließ sich auf die Tischplatte sinken und fuhr sich mit beiden Handflächen über das schweißnasse Gesicht. "Und ich könnte schwören, dass sich unsere Wege zuvor schon einmal gekreuzt hatten."
Ich hörte das Rascheln von Papier und rückte noch ein Stückchen näher, um zu sehen, was er da genau tat.
"Es tut mir leid, meine Liebe. Ich wollte nicht, dass es soweit kommt."
"Ja, Liebling, ich weiß", sagte Trisha Fitzgerald, zog sich die Brille hoch und ihrem Gatten eins mit dem Schürhaken über den Schädel.
Ich musste mir die Hand vor den Mund halten, um den aufkommenden Schrei in meiner Kehle zu ersticken. Vor meinen Augen plumpste Mr. Fitzgeralds schlaffer Körper zu Boden, die leeren Augen starr auf mich gerichtet.
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, taumelte ich zurück, unfähig meiner Sinne Herr zu werden. In was, war ich da nur wieder hineingeraten?! So leise als irgend möglich huschte ich vorsichtig über die morschen Dielen. Hauptsache raus aus diesem Irrenhaus! Jedoch nicht vorsichtig genug. Ein Knarzen unter meiner Schuhsohle verriet mich. Ich konnte hören, wie Schritte aus dem Zimmer sich mir näherten.
Anstatt zu meinem eigenen Räumlichkeiten, floh ich die Treppe hinunter. Die Tür schwang mit einem lauten Knarren auf und jemand trat auf den Flur. Ich blieb stehen, um nicht ein weiteres Mal auf mich aufmerksam zu machen. Vielleicht, so hoffte ich verzweifelt, würde sie ja meine Schritte als Einbildung verorten.
Vor lauter Aufregung presste ich meinen Rücken so fest gegen die angelaufene Tapete, als wolle ich mit ihr verschmelzen. Meine Hoffnungen wurden jedoch jäh zunichte gemacht, als sich durch das Geräusch der Dielenbretter weitere Schritte ankündigten. Würde sie Treppe hinauf oder hinuntersteigen? Allmählich bereute ich meine Entscheidung. Wäre ich nach oben geflohen, hätte sie zwar zweifelsohne Notiz von mir genommen, doch dafür hätte ich mich wenigstens in meinem winzigen Kabuff unterm Dach vor ihr verbarrikadieren können.
Das rostige Kreischen, das ihr bei jedem ihrer Tritte folgte, kündete von dem Schürhaken, den sie wie eine Waffe hinter sich her schleifte. Verzweifelt tat ich die letzten Stufen zum Erdgeschoss hinunter, darauf vertrauend, dass die mit Teppich ausgekleidete Treppe das Geräusch meiner Schuhe schlucken würde.
"Hallo, ist da jemand?", hörte ich Mrs. Fitzgeralds Stimme aus beängstigender Nähe fragen. Oh nein, sie würde die Treppe nach unten nehmen!
Zu spät wurde mir bewusst, dass das Hotel zu dieser nachtschlafenden Zeit sicherlich abgeschlossen sein musste. Selbst wenn ich es nach unten schaffen würde, säße ich dort wie eine Ratte in der Falle!
Ich gelangte in die Hotellobby und sah mich panisch nach einem Fluchtweg um. Sollte ich es riskieren eines der verhangenen Fenster zu entriegeln? Im Geiste sah ich mich schon die Spitze des Schürhakens durch meinen Hinterkopf ragend zu Boden gehen.
Es knarrte abermals hinter mir und ich meinte in dem Spiegel neben dem Eingang das Aufblitzen von Metall zu erkennen, als jemand langsam um die Ecke bog. Direkt auf mich zu!
Ich wusste, dass ich ihr nun nicht mehr länger würde entrinnen können. Doch noch ehe ich den Impuls fassen konnte, es darauf ankommen zu lassen, war es auch schon zu spät.
Eine Hand legte sich um mein Gesicht und zog mich mit unnachgiebiger Stärke nach hinten. Mehr aus einem Reflex heraus denn aus einer bewussten Entscheidung, biss ich zu, doch schafften es meine Zähne nicht, den dicken Stoff des Handschuhs zu durchdringen.
Ich wollte schreien, wenn auch nur um ein letztes Mal meine eigene Stimme zu hören, bevor es zu Ende ging. In Erwartung des rostigen Schürhakens, dessen eiserner Dorn meine Kehle jeden Moment zu durchdringen drohte, krampfte sich mein Hals zusammen. Dann umschlossen mich die festen Schatten auch schon und mir wurde schwarz vor Augen.
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