Liebes Tagebuch,
ich begann den heutigen Tag noch beim Steinbruch in Evergreen Harbour und testete gleich mal, ob die Anwohner sich mit meinem dilettantischen Gitarrenspiel anfreunden konnten.
Die Nachbarschaft ist zwar ein wenig vergammelt, aber es gibt auch schöne Ecken. Tatsächlich habe ich jetzt eine Email meiner Großeltern erhalten, in der im Grunde aber nur steht, dass sie froh sind, dass ich noch lebe und sie wollen natürlich wissen wo ich bin.
Nach langem hin- und herüberlegen habe ich mir hier einen Briefkasten gekauft. Das bedeutet, jetzt können mir meine Großeltern richtige Briefe schreiben...
Und natürlich könnten sie auch jederzeit hier auftauchen...
Heute passierte das noch nicht, aber es kam ein wütender Anwohner vorbei , den ich mit meiner Gitarre aus dem Schlaf gerissen habe. Er war unheimlich aggressiv und erzählte etwas von "schrecklichem Krach" und "Nachtschicht" und "sollte das noch mal vorkommen, passiert was!"
Was für ein schrecklicher Spießer... aber wenn er wirklich geschlafen hat, tut es mir echt leid, wenn ich ihn geweckt habe. Nach diesem Zwischenfall beschloss ich jedenfalls zu verduften.
Harold, der Besitzer des Campingplatzes hat mir den Weg zu einer versteckten Klippe erklärt und nach einigen Irrwegen habe ich sie sogar gefunden! Was soll ich sagen - das ist ein magischer Ort. Die letzten Sonnenstrahlen zauberten Nebelschwaden über das Wasser. Denn es gibt hier tatsächlich ein Schwimmbecken. Es ist mit Pflanzen bewachsen und überall liegen Steine und Ruinentrümmer herum. Aber es ist einmalig schön. Ob hier vor langer Zeit vielleicht ein Badehaus stand?
Es gibt sogar eine funktionierende Außendusche. Offenbar funktioniert sie mit Solar oder so, denn das Wasser war zwar kühl, aber nicht eisig kalt. Immer wieder schaute ich mich beim Duschen um, denn leider gibt es keinen Sichtschutz. Ich schlotterte bald ganz schön, denn mit Einbruch der Nacht wurde es wieder sehr, sehr kalt. Wann kommt nur der Sommer endlich?
Warm in meinen Lieblingspullover und eine Strickmütze eingemummelt setzte ich mich an mein Lagerfeuer. Der Zeltaufbau geht immer schneller und ich hatte sogar noch einen Fisch für das Abendessen. Aus einem Container habe ich einen alten Strickkorb gefischt. Er ist noch ganz in Ordnung und es sind noch einige Wollreste darin. In der Schule habe ich mal Stricken gelernt, aber ich werde noch eine Weile brauchen, bis ich Dinge stricken kann, mit denen man auch etwas anfangen kann. Während im Feuer die letzten Scheite verglommen, fielen plötzlich vereinzelte, dicke, weiße Flocken vom Himmel. Es kann doch nicht sein. Der Kalender sagt Frühling, mein Herz ruft nach dem Frühling, aber der Winter hat uns noch in seinem eisigen Griff.
Gut, dass mein Schlafsack warm und trocken ist. Während ich bei Kerzenschein Tagebuch schreibe, höre ich immer noch den Schnee auf mein Zelt rascheln.
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