Mittwoch (Woche 8, Tag 4)
“Darf ich mich zu dir setzen? Ich habe Hot Dogs gemacht, falls du auch möchtest.”
Jordan führte eine einladende Geste aus und sagte. “Natürlich. Ich wollte sowieso nochmal mit dir reden.”
“Das passt gut!”, erwiderte seine Schwester und setzte sich. Sie nahm einen Bissen von ihrem Hotdog und fuhr kauend fort. “Das wollte ich nämlich auch. Willst du anfangen?”
Jordan klappte das Buch über Gartenarbeit zu und überlegte. “Ich weiß nicht, wie ich es am besten sagen soll ... aber erstmal möchte ich mich bei dir entschuldigen. Ich hätte gestern beinah etwas sehr Dummes getan.”
Latifa zog verwundert die Augenbrauen hoch. “So?”
“Es hat nicht mehr viel gefehlt und ich hätte deine Sachen durchstöbert. Ich brauche Geld. Aber zum Glück habe ich rechtzeitig erkannt, was für eine bescheuerte Idee das ist.“
„Wieviel brauchst du denn und wofür?“, verlangte Latifa zu wissen.
Ihr Bruder atmete einmal tief durch, bevor er erzählte: „Ich habe im Internet jemanden kennengelernt, der mir eine Karte für 25.000 Simoleons
überlässt. Am Freitag treffen wir uns in der Bibliothek.“ Auf seinem Stuhl hin und her rutschend, sprach er zögerlich weiter. „Wenn ich selbst höre, was ich gerade von mir gebe, klingt das alles ziemlich bescheuert. Aber irgendwie glaube ich, dass da was dran ist. Das mich die Karte weiterbringen wird.“
„Ich weiß ehrlich nicht, was ich davon halten soll.“ Latifa überlegte einen Moment, bevor sie fortfuhr. „Ich habe zwar keine 25.000, aber ein bisschen was kann ich dir dazugeben, wenn dir der Versuch so wichtig ist. Auch wenn ich zugegeben nicht viel davon halte und überzeugt bin, dass du damit das Geld zum Fenster rauswirfst.“
„Wirklich? Einfach so?“ Jordan konnte nicht fassen, was er hörte. Schwere Felsen stürzten von seinem Herzen. Die Ehrlichkeit hatte sich am Ende ausgezahlt.
„Aber ...“, bremste Latifa die aufkeimende Freude. „Bevor ich dir was gebe, erwarte ich, dass du mir eines versprichst. Ich möchte, dass du vorher versucht bei einem der Resorts in der Umgebung zu schauen, ob jemand Infos zu den umliegenden Inseln hat. So, wie ich an die Infos für die ‚Insel der Zuflucht‘ gelangt bin. Sollte das nichts bringen, und du sonst bis dahin nichts Brauchbares in Erfahrung bringen können, kriegst du, soviel du brauchst, von dem was ich entbehren kann. Abgemacht?“
Über Jordans Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, dass sein gesamtes Gesicht einzunehmen schien. „Ja, auf jeden Fall. Ich werde gleich schauen, welches Resort ich ansteuern kann. Danke, Lati.“
„Ok, nächster Punkt. Wir steuern das nächste Resort noch gemeinsam an und dann werden sich unsere Wege erstmal trennen, Bruderherz. Ich habe einige Hinweise, die ich unter Wasser für meinen derzeitigen Tauchauftrag noch untersuchen muss. Aber das geht nicht mehr, wenn wir gemeinsam unterwegs sind. Du musst erstmal deine eigenen Wege einschlagen und solltest du merken, dass du Hilfe brauchst, bin ich sofort zur Stelle.“
Latifa sah, dass ihr Bruder etwas einwerfen wollte, gab ihm aber keine Möglichkeit sie zu unterbrechen.
„Ich habe Angst, dass es irgendwann in einen großen Streit ausartet, wenn wir immer für den anderen zurückstecken müssen bei unseren Ideen, wie wir weiter vorgehen sollten.“
„Lati ... Das geht doch nicht. Wir haben es doch bisher auch gut hinbekommen.“
„Nein, haben wir nicht. Du hast die meiste Zeit auf mich gewartet und wolltest eigentlich anderes tun. Konntest du aber nicht ... ich muss aber jetzt einige Sachen einfach durchziehen und kann da gerade keine Rücksicht auf dich nehmen.“
„Aber was ist, wenn dir wieder was passiert beim Tauchen?“
Latifa zuckte mit den Schultern. „Letztes Mal hast nicht du mir das Leben gerettet, sondern etwas anderes, oder? Ich muss einfach wissen, was es damit auf sich hat.“
„Aber doch nicht ganz allein!“
„Nein, das vielleicht nicht. Aber du bist nun einmal kein Taucher. Wenn überhaupt benötige ich einen richtigen Tauchpartner an meiner Seite. Tut mir leid, Bruderherz. Meine Entscheidung steht fest, ob es dir nun gefällt oder nicht.“
Latifa stopfte sich den letzten Bissen in den Mund, klatschte die Krümel von den Händen und stand auf.
„Wenn du so weit bist aufzubrechen ... ich warte auf dem Boot.“
***
Jordan schaffte es nicht seine Schwester umzustimmen. Vielleicht hatte sie recht, vielleicht brauchten sie eine gewisse Zeit allein, um ihre eigenen Nachforschungen anzustellen. Aber trotzdem verursachte es ein mulmiges Gefühl bei ihm. Während der gesamten Fahrt zum Resort, an dem sich ihre Wege trennen sollten, gab er sein bestes, um sie vom Bleiben zu überzeugen.
Schließlich sah er ein, dass es ausweglos war und rang ihr zumindest das Versprechen ab, dass sie nicht allein am Perlengrund tauchen würde. Während sie ihre Sachen unter Deck zusammenpackte, stand er am Steuer und grübelte.
Zermürbende Gedanken begleiteten ihn während der gesamten Fahrt. Nun war er ganz auf sich gestellt. Nicht nur seine Schwester ließ ihn alleine, auch Lopita hatte ihn offenbar endgültig abserviert. Bei ihrem Treffen vor einigen Tagen hatte sie ihm erzählt, dass sie bereits jemand anderen datete. Nur deshalb hatte sie ihn angerufen. Sie wollte ihm die bittere Pille selbst verabreichen. Die Genugtuung in ihrem Gesicht hatte ihn hart getroffen. Hatte er sich so sehr in ihr getäuscht? Zumindest gab es dadurch tatsächlich nichts mehr, was ihn an Isla Paradiso hätte binden können.
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