"In der Tropenoase habe ich etwas erfahren, was uns wirklich weiterbringen könnte. Ich habe es dir aber nicht direkt erzählt, weil ich wusste, dass du dann sofort nach Hause fahren wollen würdest.”
Latifa traute sich nicht ihrem Bruder ins Gesicht zu sehen.
“Ich wollte unbedingt den Perlengrund vorher erkunden. Aber das hat sich jetzt erledigt, also kann ich dir auch davon erzählen. In der alten Burg bei uns am Kristallsand-Strand gibt es einen gewissen Craig Foster, der uns verraten kann, wie man auf die Insel der Zuflucht kommt. Das ist die Insel, auf die du unbedingt möchtest.”
Jordan sagte nichts.
“Tut mir leid, dass ich es verschwiegen habe.”
“Schon gut. Also fahren wie jetzt nach Hause.”
Latifa nickte, nahm einen Schluck vom Kakao und stand auf. “Ich bin total kaputt, ich leg mich hin, wenn du erstmal nichts von mir brauchst.”
“Nein, mach das. Ich stell mich gleich ans Steuer und verlege das Boot in unseren Heimathafen. Wir werden den ganzen Tag unterwegs sein.”
Was auch immer es mit diesem Craig Foster auf sich hatte, es traf sich gut für Jordan. Sollte er ihnen tatsächlich weiterhelfen können, bräuchte er sich keine Gedanken mehr über das Angebot von HunterX machen.
Außerdem hatte der Anruf von Lopita die Sehnsucht nach ihr geweckt. Er wollte sie nochmal sehen auch wenn er wusste, dass es töricht war. Sobald sie wieder zuhause wären, würde er sie anrufen.
***
Woche 7, Tag 4 - Mittwoch
Keine Stunde mehr und sie waren wieder zuhause. In der Ferne konnte man bereits ihr Haus ausmachen. Latifa nahm das als Anlass ihr Handy wieder anzuschalten.
Sie hatte es während ihrer Reise abgeschaltet, nachdem sie eine SMS von ihrem Freund Matthew erhalten hatte.
Sie musste sich eingestehen, dass sie Angst davor hatte. Sie war ein Feigling, der sich nun seinen vergangenen Taten stellen musste.
Pling. Pling. Pling.
Mehrere Nachrichten wurden ihr neben einigen Anrufen in Abwesenheit zugestellt. Alle Nachrichten waren von Matthew, aber auch einige der Anrufe.
Latifa fühlte sich elend und traute sich kaum die Nachrichten zu lesen.
Aber sie wusste auch, es führte kein Weg dran vorbei. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sie Matthew begegnen würde, sobald sie zur Burg fuhren. Immerhin lebte er auch in der Nähe des Kristallsand-Strandes. Da war es das Beste zu wissen, was sie gegebenenfalls erwarten könnte, wenn sie sich zufällig begegneten.
Ihr Herz schlug wie wild, als sie die erste Nachricht öffnete.
“Schade, ich hoffe nicht allzu lang. Freu mich, wenn du wieder da bist.”
Die zweite Nachricht:
“Hey, wie geht’s dir? Kommst du voran? Vermisse dich. Melde dich bitte mal.”
Die dritte Nachricht:
“Hey, warum geht’s du nicht ran oder rufst mal zurück, ich mach mir Sorgen!?!”
Die vierte Nachricht:
“Willst du mich eigentlich verarschen? Wo steckst du?”
Die fünfte Nachricht:
“Weißt du was, melde dich nicht mehr bei mir. Ich habe kein Bock auf so einen Kindergarten.”
Latifa merkte erst jetzt, dass sie beim Lesen die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte. Sie atmete erleichtert auf. Sie hatte alles gelesen. Sie hatte die ganze Zeit nur eine lockere Geschichte haben wollen, aber das hatte Matthew zuletzt nicht mehr gereicht. Jetzt hatte er hoffentlich mit ihr abgeschlossen und sie brauchte sich keine Gedanken mehr machen. Vermutlich war es so das beste für sie beide.
Allerdings sagte es sich einfacher, als es letztlich für sie war. Latifa merkte, dass sie zumindest der Freundschaft hinterher trauerte.
Sie versuchte die Gedanken abzuschütteln und gesellte sich zu ihrem Bruder.
“Wollen wir dann direkt los, wenn wir da sind?”, erkundigte sie sich bei ihm.
“Das ist wohl das Beste. Ich dusch mich dann nur kurz nochmal ab und zieh mich um.”
“Ok, dann mach ich mich schonmal fertig.”
Die Geschwister hatten seit ihrem Gespräch am Vortag nicht mehr als das nötigste miteinander geredet. Latifa schob es darauf, dass Jordan wahrscheinlich noch etwas sauer auf sie war, weil sie ihm die Info verheimlicht hatte.
***
Zwei Stunden später
“Das ist echt ein imposantes Gebäude. Wie es wohl ist darin zu leben?”, überlegte Latifa.
“Viel zu groß. In sowas will man doch nicht leben“, warf Jordan ein. “Lass und hoffen, dass der Typ zuhause ist.”
Latifa verdrehte die Augen und ging schließlich voran. “Du kannst so ein Langweiler sein, Jordan, echt mal.”
Als sie Stimmen hörten und kurz darauf sahen, wie einige Leute die Treppen hinunterkamen, hielten sie inne.
Mit den Worten “Hallo, habt ihr euch verlaufen?”, begrüßte sie ein Mann mit wilder Lockenmähne und Sonnenbrille.
“Hi, wir suchen einen gewissen Craig Foster. Man hat uns gesagt, dass er hier leben soll”, erklärte Latifa.” Ist er zu sprechen?”
“Kommt drauf an, wer fragt. Worum geht es denn?” Neugierig musterte der Typ die Geschwister. Als er hinüber zu Jordan blickte, der nicht wie seine Schwester ins fremde Getümmel gestürzt war, überkam ihn ein Niesreiz. Er nieste.
Latifa wischte unauffällig die Tröpfchen weg, die auf ihrem Unterarm gelandet waren, während Craig sich die Nase rieb.
Anschließend reichte er ihr die Hand zur Begrüßung.
“Pardon! Craig Foster!” Zögerlich schlug Latifa ein. Craig hatte einen festen Händedruck, zerquetschte gar fast ihre Hand.
“Mit wem habe ich denn das Vergnügen?”
“Mit Latifa und Jordan Mitchell”, warf Jordan von hinten ein und kam dazu.
Eigentlich hatte er seiner Schwester den Vortritt gelassen, weil sie darauf bestanden hatte. Der Typ war jedoch so merkwürdig, dass er lieber dazu kam. Dafür kassierte er direkt einen bösen Blick seiner Schwester. Aber das war ihm egal.
“Und was kann ich für euch tun?”
“Isidro von der Tropenoase hat mir erzählt, dass du uns weiterhelfen könntest. Wir möchten auf die Insel der Zuflucht.”
“So, so.” Craig verzog das Gesicht. “Ich weiß nicht, ob ich darüber mit euch sprechen möchte. Wer sagt mir denn, dass ihr vertrauenswürdig seid?”
“Entschuldige. Wir wollten dich nicht so überfallen”, warf Latifa ein. “Lass mich ... oder uns ... dir beweisen, dass wir es ernst meinen. Aber überhaupt. Du scheinst mir ein interessanter Typ zu sein.”
Argwöhnisch beäugte Craig Foster die junge Frau.
Ließ sich danach aber auf das Angebot ein und sie unterhielten sich noch ein Weilchen angeregt.
Jordan indes stand wie das dritte Rad am Wagen daneben. Sowohl seine Schwester als auch der fremde Typ ignorierten ihn. Allerdings hatte er keine Zeit sich darüber zu ärgern, als ihm sein Handy wieder einen eingehenden Anruf von Lopita anzeigte.
Er entfernte sich etwas von den zwei Plaudertaschen und nahm den Anruf entgegen.
“Hallo Lopita! Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich freue, dass du anrufst. Wir sind heute wieder zuhause angekommen, ich wollte mich auch noch bei dir melden. Sollen wir uns nicht am besten morgen treffen? Am üblichen Treffpunkt?”
Nach kurzem Zögern willigte Lopita ein und Jordan fiel ein Stein vom Herzen. Vielleicht war es gar nicht nötig sich komplett von ihr abzuschotten, um sich weiter auf die Suche nach dem Paradies im Ozean zu begeben. Vielleicht konnte er noch alles zwischen ihnen kitten.
Als er aufgelegt hatte, beobachtete er weiter die Szenerie zwischen Craig Foster und seiner Schwester.
Craig stieg gerade die Treppen zur Burg hinauf und rief hinab:
“Es ist schon spät, ich bin müde. Aber komm gerne morgen wieder, dann sehen wir weiter.”
Latifa drehte sich zu ihrem Bruder und seufzte.
Am Ende war alles doch wieder etwas komplizierter, als erwartet. Aber wie hätte es auch sonst sein sollen?
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